Wer, wenn nicht Alexandra, die Indien über alles liebt, wäre am besten geeignet über Mumbai zu berichten. Über eine Stadt, die oft der Gefahr einer einzigen Geschichte zum Opfer fällt, wie die Autorin Adichie es nennt (“The danger of a single story”). Denn mit der schieren Größe kommen auch viele Geschichten und Perspektiven. Alexandra ist in der Stadt auf unbekannten Pfaden unterwegs und beschreibt ihre Eindrücke für euch!
Bombay. Bombayyy. Einige Orte auf der Welt tragen Namen, die wie Musik in den Ohren klingen. Die schmeichlerisch sind und einen schon alleine mit ihrem Klang um den kleinen Finger wickeln. Bombay ist so ein Name für mich. Bom Bahia, die gute Bucht. So nannten die Portugiesen seinerzeit das einst kleine Fischerdorf auf dem schmalen Landstreifen, der sich vorwitzig ins Arabische Meer schiebt. Für mich wird Bombay immer Bombay bleiben, obwohl die „City of Dreams“, wie die Stadt auch genannt wird, seit 1996 offiziell Mumbai heißt, benannt nach der lokalen Gottheit Mumba Devi.
Für die meisten westlichen Neuankömmlinge ist die „Maximum City“ mit ihren 16 Millionen Einwohnern zunächst einfach nur respekteinflößend. Der Verkehr scheint noch chaotischer als anderswo in Indien, die Menschenmassen noch größer, der Kontrast zwischen glitzerndem Reichtum und hoffnungsloser Armut noch extremer. Ja, Bombay in Indien fordert und kann einen überfordern. Aber Bombay fasziniert gleichermaßen. Mich hat die Stadt bei meinem ersten Besuch vor einigen Jahren direkt in ihren Bann gezogen. So wie Bewohner von Bombay, die ihre Stadt lieben. Sie sind stolz auf ihre Stadt und können sich nicht vorstellen, woanders zu leben.
Bombay ist eine der wenigen Städte in Indien mit richtig hohen Wolkenkratzern Foto: Alexandra Lattek
Bombay abseits der klassischen Sehenswürdigkeiten
So wie Soraya und Fabia, Mutter und Tochter, bei denen ich während meines aktuellen Besuchs mit India Someday zwei Tage zu Gast sein durfte. Soraya stammt aus Südindien und lebt bereits seit 35 Jahren in Bombay. Ihre Tochter Fabia wurde in Frankreich geboren und ist in England zur Schule und Universität gegangen. Nach ihrem Examen zog es sie jedoch zurück nach Bombay. Sie liebt das Leben hier, genau wie ihre Mutter, die Französisch an einer internationalen Schule unterrichtet. Die beiden teilen nicht nur ihre liebevoll eingerichtete Wohnung im neunten Stock eines Apartmenthauses in Central Bombay und den einzigartigen Blick ihrer großen Dachterrasse mit ihren Gästen, sondern auch ihre Lieblingsorte.
Ich kann gar nicht genug bekommen von diesem atemberaubenden Ausblick von ihrer Dachterrasse.
Orte, die man als „normaler“ Tourist nicht unbedingt zu sehen bekommt. Orte abseits des Touristenviertels Colaba mit dem Colaba Causeway, dem Gateway of India, dem Taj Mahal Palace Hotel, dem legendären Café Leopold und dem Regal, einem der ältesten Filmtheater der Stadt. Abseits des Fort-Viertels mit der St. Thomas Cathedral, dem Victoria Terminus und dem vormaligen Prince of Wales-Museum, das heute Chhatrapti Shivaji Maharaj Vastu Sangrahalay heißt. Und abseits des Chowpatty Beach am oberen Ende des Marine Drive, einer Institution in Bombay, an dem sich am Abend und am Wochenende Jogger, Familien und gerne auch Liebespärchen treffen, um spazieren zu gehen und den Blick auf das Arabische Meer und die Hochhäuser von Malaber Hill zu genießen.
Ich bin nun aber abseits dieser Sehenswürdigkeiten unterwegs, um ein anderes Bild der Stadt zu bekommen. Foto: Alexandra Lattek
Auf Nachbarschaftsbesuch rund um den „Baby Garden“ in Mumbai Central
Ich hatte das Glück, einen Tag mit Fabia und Soraya verbringen zu dürfen und Einblicke in „ihr“ Bombay in Indien zu bekommen. Das Zuhause der beiden liegt in der Nähe des Bahnhofs Mumbai Central, direkt gegenüber des „Baby Garden“, einem hübschen, kleinen Park, in dem schon frühmorgens die Vögel tschilpen und die bunten Papageien herumkrächzen. Der Baby Garden liegt in einer muslimisch geprägten Nachbarschaft und ist Frauen und Kindern vorbehalten. Am Freitagvormittag ist hier wenig los. Die Kinder sind in der Schule, die Frauen beim Einkaufen im benachbarten Markt. Parsische Händler, die man an ihrer Kopfbedeckung erkennt verkaufen Schmuck und Haushaltswaren sowie frisches Obst und Gemüse. Nebenan sitzt ein Mann im Schneidersitz und reiht orangefarbene Blüten auf eine Schnur auf, die als Opfergabe für den Besuch in den örtlichen Hindutempeln verkauft werden.
Die Fischhalle ist gänzlich von Frauen dominiert. Sie gehören den Koli an, erklärt mir Fabia. Koli ist der alte Name der Fischergemeinde, die ursprünglich die sieben Inseln bewohnt hat, auf denen sich das heutige Bombay erstreckt. Es geht gemütlich hier zu. Zwischen dem Abwiegen von Pomfret und frischen Shrimps bleibt genug Zeit, einen Chai zu trinken und ein wenig zu schwatzen.
Geschickt fädelt er die Blumen zu einer Kette auf und freut sich als ich ihn frage, ob ich ihn fotografieren darf. Foto: Alexandra Lattek
Wieder draußen sehen wir große Gerüste aus Bambus. Das Viertel wappnet sich für Ganesh Chaturthi, das zehn Tage dauernde hinduistische Fest, das anlässlich des Geburtstages des Elefantengotts Ganesha gefeiert wird. Überall werden Statuen des dickbäuchigen Gottes aufgestellt, die am letzten Tag zum Meer getragen und dort versenkt werden. Schon Wochen vorher werden in kleinen Werkstätten Ganesha-Statuen hergestellt und bemalt. Der Ganesha-Künstler aus Fabias und Sorayas Nachbarschaft macht gerade ein Mittagsschläfchen, als wir bei ihm vorbeischauen. Doch wir haben Glück und wir dürfen eintreten, um die kunterbunten Statuen zu bewundern.
Zunächst werden die Statuen aus Lehm geformt, bevor sie dann wunderschön bunt bemalt werden. Foto: Alexandra Lattek
Wir gehen weiter, vorbei an der größten Moschee des Viertels. Später, so gegen eins, sei die ganze Straße voller Männer, die zum Freitagsgebet hierher kommen, erklärt Fabia. Vielleicht haben wir an anderer Stelle Gelegenheit, dies zu sehen, es gibt unzählige Moscheen in Bombay. Zuvor statten wir noch der Synagoge im Viertel einen Besuch ab. Leider bleibt uns der Eintritt in das alte Gebäude verwehrt. Der Zutritt ist den Mitgliedern der Gemeinde vorbehalten.
Bevor wir in ein Taxi steigen, dass uns zu unserer nächsten Station bringt, kommen wir an einem etwas von der Straße zurück versetzten Haus vorbei, mit wunderschönen Ornamenten verziert. Das Haus wird von Parsi bewohnt, einer gebildeten und meist sehr wohlhabenden, uralten religiösen Gemeinschaft, die der Lehre des Zoroastrismus folgen und bereits im 8. Jahrhundert aus Persien nach Indien gekommen sind.
Bevor es weitergeht, erstmal eine frische Kokosnuss zum Löschen unseres Durstes. Foto: Alexandra Lattek
Bombay – eine multireligiöse Metropole
Dr. Bhau Dadji Lad Museum
Eigentlich mag ich bei Stadterkundungen lieber draußen herumlaufen anstatt in ein Museum zu gehen. Doch der Besuch im Lad Museum, dem früheren Victoria and Albert Museum, das nach seiner kürzlichen Renovierung in neuer Pracht erscheint, hat sich definitiv gelohnt. Nicht nur wegen der wunderschönen, palladinischen Architektur des eleganten Gebäudes. Ich erfahre hier interessante Einzelheiten über die Entstehung der Stadt und verstehe, warum Bombay in Indien heute eine solch bunte, multireligiöse Metropole ist.
Zur Blütezeit der East India Company zog Bombay Geschäftsleute aus allen Ecken und Enden des Landes an, unter anderem Geschäftsleute aus Goa, Kaufmänner aus Gujarat, muslimische Weber und die Parsen. Sie alle kamen hierher, um am Boom Bombays teilzuhaben. Noch heute hat die Stadt eine magnetische Wirkung und viele Menschen, die aus anderen Landesteilen hierherkommen, erhoffen sich hier ein wirtschaftlich besseres Leben.
Das Gebäude lockt mit britischem Charme (Credit: Andres Romanos – Flickr)
Mather Pakkady
Unser nächstes Ziel heißt Mather Pakkady, ein Viertel, in dem goanische Christen leben. Auf dem Weg dorthin passieren wir die katholische Gloria Church, einen iranischen Friedhof und eine wunderschöne Moschee, und dies alles innerhalb eines Quadratkilometers. Mather Pakkady liegt ein wenig versteckt in Byculla, wir fragen uns durch. Und befinden uns plötzlich in einer völlig anderen Welt. Die „Sounds of Mumbai“ scheinen von der einen Sekunde auf die andere zu verstummen. Kein Hupen, kein Autolärm, nur Stille zwischen den im goanischen Stil erbauten Häusern, auf deren Briefkästen portugiesische Namen wie Mascarenhas zu lesen sind.
Obwohl die Häuschen zum Teil etwas baufällig wirken und einen Anstrich gebrauchen könnten, sind die Hauspreise in dieser Ruheoase in den vergangenen Jahren exorbitant gestiegen. Es leben viele Notare, Anwälte und Ärzte hier, alles Nachfahren goanischer Christen. Bombay, wahrhaftig eine multireligiöse Metropole.
Sofort fühle ich mich wie nach Goa versetzt inmitten der niedlichen Häuser und der Ruhe vom Getöse der Stadt. Foto: Alexandra Lattek
Alles spielt sich auf der Straße ab
Wie in vielen anderen indischen Städten, findet auch in Bombay das Leben auf der Straße statt: Hühneraugeentferner, Tattookünstler, Ohrenreiniger und Barbiere, alles was man sich nur vorstellen kann. Während man im Westen zum Haareschneiden in einen Friseursalon geht und sich seine Hühneraugen beim Arzt entfernen lässt, kann man dies in Bombay in Indien alles „on the go“ auf der Straße erledigen, ohne Termin versteht sich.
An der Hauptstraße vor dem Zoo, in dem das Lad Museum beherbergt ist, haben sie alle ihre kleinen Stände aufgebaut: Der Hühneraugenentferner, der mich überzeugen möchte, meine Füße näher zu inspizieren und der auch Pediküre anbietet, die beiden Ohrenreiniger, die auch gerne ein Geschäft mit mir machen möchten und die in orange gekleidete, korpulente Dame mit Pistole in der Hand. Ein kleines Tattoo gefällig? Auch das Surren ihrer Maschine und die Papiere mit Motiven, die vor ihr liegen, können mich nicht überzeugen, ein gestochenes Souvenir aus Bombay mitzunehmen. Der Frisör ist zum Glück beschäftigt, er hätte mir sonst sicherlich gerne meine langen Haare abgeschnitten.
Ich frage mich, wie viele Tattoos sie wohl am Tag sticht…Foto: Alexandra Lattek
Street Food – Bombay Sandwich, Pav Bhaji und Pani Puri
Auf der Straße werden in Bombay in Indien nicht nur Haare geschnitten und Ohren gesäubert, es wird auch gegessen und getrunken. An jeder Ecke locken andere Köstlichkeiten – frisch aufgeschnittene Papaya und Wassermelonen, erfrischendes Fresh Lime Soda, klassische „Bombay Sandwiches“, das ist Toast mit einer Art vegetarischem Burger, Gurke und einer weißen Soße. Es gibt aus gestoßenem Eis hergestelltes Eis am Stil, das in Sirups mit verschiedenen Geschmacksrichtungen getaucht wird und in das die Mädchen in Schuluniform, denen wir begegnen, jeden Tag auf dem Weg nach Hause einen Teil ihres Taschengeldes investieren.
Ein Besuch in Bombay ist nicht vollständig, ohne Street Food probiert zu haben. Doch für westliche Mägen kann es zuweilen eine Herausforderung sein, an einem der Straßenstände zu essen. Doch es gibt inzwischen eine ganze Reihe schicke Lokale, die an Street Food orientierte Gerichte anbieten. So wie das Swati. Das Restaurant in Mumbai Central ist so beliebt, dass die Leute draußen Schlange stehen, vor allem Frauen, die sich hier mit ihren Freundinnen zum Mittagessen treffen. Wir lassen uns auf die Warteliste setzen und 30 Minuten später sitzen wir tatsächlich bei köstlichen Pav Bhaji, Pani Puri, Panri Chutney und frischem Zuckerrohrsaft an unserem Tisch.
Pav – das portugiesische Brötchen ist die Basis für das beliebteste Streetfood Bombays (Credit: Andreas Mariotti – Flickr)
Shopping im Bombay – zwischen High Fashion und Flohmarkt-Kuriositäten
Modemesse im National Sports Club of India
Schon bei Swagi konnte ich feststellen, dass die Damen der gehobeneren Bombayer Gesellschaft Mode lieben. Bombay ist Indiens Modehauptstadt, hier werden die Trends kreiert. Diesen Sommer trägt man Palazzo-Pants unter der Kurta, locker geschnittene, weit ausgestellte Baumwollhosen, am besten in Weiß. An diesem Wochenende eilen die Ladies zum NSCI, dem National Sports Club of India. Nicht etwa, um Sport zu treiben, sondern um Designermode zu shoppen auf einer der größten Modemessen des Landes. Wir mischen uns unter die Damen mit ihren riesigen Einkaufstüten, staunen über die mit Glitzer und Glitter bestickten Kleider, halten Seide und Brokat in den Händen und handgenähte Schuhe mit Blumenmuster. Wir sind jedoch tapfer und steigen ohne Shoppingtüten ins Taxi.
Oh, die Freuden des Shoppings! Uns ist es ganz schön schwer gefallen, nicht in Kaufrausch zu verfallen
Central Bazaar District
Ein paar Kilometer weiter warten bereits die nächsten Händler auf uns. In der Mutton Street im Central Bazaar District ist Flohmarkt, wie jeden Freitagnachmittag, wenn die Geschäfte der muslimischen Händler geschlossen haben. Hier gibt es nichts, was es nicht gibt. Der einkaufsfreudige Kunde kann wählen zwischen alten Handys, Brillen, leeren Nutellagläsern, mechanischen Schreibmaschinen, alten Küchenutensilien, Radios und sonstigen Elektrogeräten. Für die Frauen gibt es Chapals, Schals und tonnenweise Schmuck. Nachdem wir mit einem heißen Chai Masala nach spezieller Rezeptur aufgetankt haben, überqueren wir die Mohammed Ali Road, wo sich ein Geschäft an das andere reiht. „Come and have a look“, dieser Spruch schallt uns an jeder Ecke ins Ohr. Es gibt schwarze Gewänder mit Goldstickerei für die muslimischen Frauen, Bäckereien mit feinsten Torten, Geschäfte mit exzellentem Parfüm.
Wenn man es mal schafft, die Augen von dem Treiben auf dem Markt abzuwenden, so wird man auch über die wunderschöne Architektur der Mutton Street staunen können
Wir tauchen ein in das nächste Straßenlabyrinth. Die kleinen Straßen sind nach Gilde und Kaste beziehungsweise Religion unterteilt und jede ist auf eine bestimmte Ware spezialisiert. Von der Pyjamastraße wandern wir in die Haushaltswarenstraße. Und weiter Richtung Crawford Market, der im britischen Stil erbauten, ältesten Markthalle Bombays. Dort, wo einst die Briten ihre Einkäufe tätigten, kann man heute alles kaufen, was man braucht: Angefangen von Obst über Nüsse und Gewürze bis über Haustiere. Die kleinen Hunde und Kaninchen in den engen Käfigen tun mir irgendwie leid. Doch die Tiere finden immer recht schnell ein Herrchen oder Frauchen, erfahre ich.
Nachmittags füllt sich der Markt mit vielen Kaufwütigen und rund um den Crawford Market herrscht einziges Chaos. Foto: Alexandra Lattek
Im Crawford Market shoppen wir tatsächlich, Pink Grapefruit und Papaya für unser Frühstück am nächsten Tag. Jetzt aber ab nach Hause, es war ein langer Tag. Unser Taxi quält sich durch den Feierabendverkehr. Das gibt mir die Chance, noch einen letzten Blick auf die Straßen von Bombay zu werfen, die Gerüche der Stadt einzuatmen, der unverwechselbaren Geräuschkulisse zu lauschen. Denn am nächsten Tag geht es schon weiter auf unserer Reise, nach Aurangabad. Bombay, ich vermisse Dich jetzt schon!
Auch auf dem Crawford Market findet man alles, was das Herz begehrt – man muss nur wissen wo. Foto: Alexandra Lattek
Wenn euch der Bericht von Alexandra gefallen hat, schaut euch doch hier auch mal an, warum sie schon so oft in Indien war und was ihre Liebe für dieses fabelhafte Land ausmacht. Und wenn ihr nun auch Lust bekommen habt, die City of Dreams, Bombay in Indien zu besuchen, dann schreibt uns und wir helfen euch eine aufregende Reise zu planen, auf der ihr euch ein ganz eigenes Bild des Subkontinents machen könnt!
Wir bei India Someday lieben es Menschen für das Reiseland Indien zu begeistern. Unser Deutsch-Indisches Team hat den Subkontinent bereits mehrmals von Norden nach Süden und Westen nach Osten bereist und teilt mit Leidenschaft Tips und Erfahrungen. Wir helfen bei der Auswahl der Reiseziele, Route und Reisezeit und können somit hoffentlich auch euren Traum von ‘India Someday’ zur Wirklichkeit machen. Viel Spaß beim Stöbern!
Wieviel man “off the beaten track” in kurzer Zeit in Bombay erleben kann, beeindruckt mich! Da kitzelt mich auch das Fernweh….
Gute Reise. Dani
bombay ist auf jeden fall eine reise wert! es gibt noch so viel zu entdecken :-). liebe grüße, alex